Als Ursache für die  Atypische Weidemyopathie  bei Pferden kommt Bergahorn infrage. Die kritische Zeit steht bevor.

 

Dr. Uwe Hörügel,  Pferdegesundheitsdienst,  Sächsische Tierseuchenkasse

 

 

Die Atypische Weidemyopathie ist eine erworbene, höchstwahrscheinlich toxisch bedingte Störung des Muskelstoffwechsels bei Weidepferden in Europa und  Nordamerika.

Im Herbst 2009 wurden in Europa 371 Fälle und im Frühjahr 2010 125 Fälle registriert.

Die Krankheit tritt überwiegend im Herbst von Oktober bis Dezember und seltener im Frühjahr von April bis Mai auf. Insbesondere nach Feuchtwetterperioden mit plötzlicher Zunahme an Wind und einem nächtlichen Temperaturabfall unter 8° C  erkranken Pferde.

Betroffen sind vorwiegend jüngere, gut genährte Tiere bis zum Alter von vier Jahren auf stark verbissenen und verkoteten Weiden.

Häufig werden die Pferde morgens tot auf der Koppel liegend vorgefunden. Das Krankheitsbild beginnt zwölf bis achtundvierzig Stunden nach Aufnahme des Agens häufig mit Kolikanzeichen, Muskelzittern, Schwitzen und Untertemperatur.  Die Tiere zeigen einen schwankenden Gang, lassen den Kopf hängen und kommen zum Festliegen in die Seitenlage.

Auffällig ist, dass selbst Pferde in Seitenlage noch Nahrung aufnehmen wollen. Typischerweise ist der Harn durch die Ausscheidung des Muskelfarbstoffes (Myoglobin) dunkelbraun bis schwarz gefärbt und bei der Laboranalyse insbesondere die Blutserum-konzentration der Kreatinkinase (CK) drastisch erhöht.

 

Ursachen

Dem Pferdegesundheitsdienst (PGD) gelangten im Herbst 2009 in Sachsen und Thüringen 46 Erkrankungsfälle von Pferden und einem Esel zur Kenntnis. Davon starben dreißig Tiere.

Im Frühjahr wurden dem PGD acht erkrankte Pferde bekannt, von denen fünf starben. Alle Tiere wurden nicht aktiv bewegt, das heißt regelmäßig geritten oder longiert. Bei der Untersuchung von acht Weiden, auf denen 2009 Pferde an Atypischer Myopathie erkrankt waren, wurden durch den PGD auf sieben Weiden Ahornblätter mit Teerflecken gefunden.

Alle Koppeln waren sehr stark abgefressen. Nach Aussage der Besitzer wurden die Weiden nicht gedüngt und die Kothaufen nicht entfernt. Die Pferde erhielten kein Kraftfutter und nur selten Mineralfutter in Form von Minerallecksteinen. Es ist auffällig, dass in mehreren Publikationen das Vorkommen von Bergahorn in der Nähe fast aller betroffenen Koppeln in Belgien, Holland und Deutschland erfasst wurde. Das deckt sich mit den Beobachtungen des PGD.

 

Ein kausaler Zusammenhang mit dem Auftreten der Atypischen Myopathie ist aufgrund folgender Übereinstimmungen denkbar: Eine ähnliche Erkrankung bei Pferden, hervorgerufen durch die Aufnahme von herabgefallenen, angewelkten oder getrockneten Ahornblättern wird in Amerika beschrieben (Rote Ahornvergiftung). Das beweist, dass bestimmte Ahornarten für Pferde giftige Substanzen enthalten. Diese Erkrankung tritt ebenfalls bis zu 48 Stunden nach Aufnahme des Agens auf. Als Hauptwirkung des Giftes wird ein Zerfall der roten Blutkörperchen (Hämolyse), jedoch keine Muskelfaserauflösung (Rhabdomyolyse) beobachtet.

 

Die Atypische Myopathie tritt ebenfalls wie die Rote Ahornvergiftung häufig im Herbst nach Stürmen und Kälte mit vorangegangener Nässe auf. Das ist die Witterung, bei der Ahornteile von den Bäumen auf die Weiden gelangen und somit zugänglich für die Pferde werden..

Da sich der Stoffwechsel der betroffenen Weidepferde im Herbst aufgrund des spärlichen Futterangebotes auf den abgefressenen und ungepflegten Koppeln in einem Energiedefizit befindet, nehmen sie die kohlenhydratreichen Ahornteile (Samen, Blätter, Zweige) gerne auf.

Die Kronenblätter des Ahorns schmecken durch die Honigverdauung (Ahornsirup) der Blattläuse süß, was die Attraktivität für die Tiere zusätzlich steigert. Die Ahornvermehrung findet verstärkt in sogenannten Mastjahren statt. 2009 und 2004 waren in unserer Gegend solche Mastjahre, in denen besonders viele Samen und Keimblätter des Ahorn entwickelt wurden.  In diesen Jahren traten auch in Deutschland gehäuft Fälle von Atypischer Myopathie auf. Möglicherweise ist das die Erklärung für die Häufung der Erkrankungsfälle in bestimmten Jahren. Bergahornbäume bevorzugen feuchte Steilhänge und Täler, die besonders von betroffenen Pferden beweidet wurden.

 

Potenzielle Giftstoffe im Ahornsamen sowie in den Keimblättern sind bekannt. Einer ist das Hypoglicins, welches möglicherweise auch in den Blättern vorkommt. Die Hauptwirkung des verdauten Hypoglicins ist die irreversible Unterbindung der Energiegewinnung aus Fetten. Die pathomorphologischen Befunde bei der Atypischen Myopathie ähneln sehr stark den Veränderungen, die bei einer durch Hypoglicin verursachten Vergiftung (Jamaikanische Brechkrankheit) des Menschen beobachtet werden.

 

Therapie

Unter Annahme ähnlicher thophysiologischer Entstehungsmechanismen der Atypischen Myopathie beim Pferd einerseits und der Jamaikanischen Brechkrankheit beim Menschen andererseits steht bei den therapeutischen Maßnahmen  der Ausgleich des Energiemangels durch Infusionen (zum Beispiel Dextroselösung) im Vordergrund.

 

Fazit für die Praxis

Nach Auswertung der in Sachsen und Thüringen bekannt gewordenen Fälle erkranken Weidepferde an Atypischer Myopathie, die untrainiert sind und deren Stoffwechsel sich aufgrund des spärlichen Nahrungsangebotes in einem Energie- und Mineralstoffdefizit befindet. Weiden mit herabgefallenen Ahornteilen (Keimblätter, Laub) sollten aufgrund der Beobachtungen nicht als Pferdeweide genutzt werden. Die Tiere müssen im Herbst auf abgefressenen und zertretenen Koppeln ausreichend Rauh-, Kraft- und Mineralfutter erhalten.

 

Der PGHD sammelt epidemiologische Daten im Zusammenhang mit der Atypischen Myopathie, um weitere Ursachenforschung zu betreiben.

Deshalb wird darum gebeten, bei Auftreten von solchen Fällen mit dem PGD Kontakt aufzunehmen.

 

Nachgelesen und wiedergegeben von Volker Tack