Reparationsholz

Reparationsholz (Ein Erlebnisbericht mit Pferden)

 

Den Älteren unter uns zur Erinnerung – den Jüngeren zur zeitgeschichtlichen Information.

Als am 08. Mai 1945 der zweite Weltkrieg endete, forderte die russische Besatzungsmacht in der sowjetisch besetzten Zone (später DDR) in großem Umfang Reparationsleistungen. Ganze Fabrikhallen wurden von ihren Produktionsmaschinen  „befreit“, d.h. die Maschinen wurden lieblos und ohne Rücksicht auf Beschädigungen demontiert und in Waggons verladen. In den wenigsten Fällen, so wurde berichtet, erfolgte dann in der Sowjetunion eine Montage, nein, sie mußten dort in den Schrott wandern.

Der Reichtum von Mecklenburg-Vorpommern waren u.a. die Wälder mit ihrem jahrhunderte alten, wertvollem Holzbestand. Hier wurden meistens wahllos, ohne Berücksichtigung forstwirtschaftlicher Fachkenntnisse, riesige Mengen an Kiefer-, Buchen- und Eichenbäumen im ganzen Land gefällt, und die Bauern und Ackerbürger wurden mit ihren Pferden zu Gespanndiensten verpflichtet. Jeder hatte im Quartal pro Pferd eine festgesetzte Menge an Festmeter-Holz zum bestimmten Güterbahnhof zu transportieren.

Ackerbürger, das sind bzw. waren Landwirte in Kleinstädten, die ihre Hofstelle mit Wohnhaus, Stallgebäuden und Scheune inmitten der Stadt und ihre Ländereien außerhalb derselben haben bzw. hatten. Ihren Lenbensunterhalt verdienten sie nicht nur von der Landwirtschaft, sondern auch durch Gespanndienste jeglicher Art für die Bürger ihrer Stadt.

1946 war ich Schüler des Gymnasiums in Bützow/Mecklenburg und wohnte mit meiner Mutter, sie war Studienrätin an der Oberschule, bei dem Ackerbürger Ludwig (Ludden) Frank, Vor dem Rostocker Tor 2. Auch dieser wurde mit seinen beiden Kaltblutpferden zwangsverpflichtet, und in den Jahren 1946/47 mußte das festgelegte Soll an Reparationsholz aus den Wäldern um Rühn, Tarnow und Schlemmin als Langholz zur Verladung gen Rußland zum Güterbahnhof Bützow bei Tag und Nacht gefahren werden. Unzählige Langholzfuhrwerke, eines nach dem anderen, fuhren bzw. standen im Stau von mindestens 8 – 10 Kilometern, aus Richtung Rühn kommend, durch die ganze Stadt bis zur Entladestelle am Güterbahnhof von Bützow.

Auch ich wurde mit meinen damals 14 Jahren zum sog. „Kutscherwechsel“ verpflichtet und fuhr nach der Schule dem Gespann von „Ludden“ Frank mit einem klapprigen Fahrrad entgegen. Man rechnete sich den derzeitigen Standort in etwa aus, denn Telefone oder gar Handy’s gab es damals noch nicht.

Das „Frank-Gespann“ erreicht und übernommen, radelte Ludden nach Hause, um ein wenig zu schlafen oder Arbeiten am Hof zu verrichten.

Das Holz am Bahnhof entladen, fuhr ich mit meinen Pferden, die wieder einmal das Letzte ihrer Kräfte für die sinnlose Aufgabe hergegeben hatten, nach Hause. Aufgrund des chronischen Futtermangels und der enormen Beanspruchung ähnelten sie bereits eher einem Garderobenständer als einem Pferd.

Im Stall angekommen, wurde ihnen sofort eine selbstgefertigte Gurtkonstruktion umgelegt, die im darüberliegenden Deckenbalken mittels Flaschenzug ihre Verankerung fand. Dann wurden die Pferde getränkt, bekamen 1 – 2 Runkelrüben sowie Heu und Stroh als Futter. Der wohlverdiente Hafer war bereits dem Ablieferungssoll zum Opfer gefallen.

Am nächsten Morgen lagen unsere Pferde im Stroh und blickten sehnsüchtig mit noch müden Augen dem über ihnen angebrachten Futtertrog entgegen.

Allein aufstehen konnten sie leider nicht !

 

Nun kam der am vergangenen Abend „installierte“ Flaschenzug zum Einsatz. Unsere Pferde wurden „hochgehievt“, hingen in ihren Gurten und fraßen ihre Runkelrüben und Heu. Danach hatten sie sich wieder soweit regeneriert, daß sie zu etwas leichter Feldarbeit – sofern dies am Morgen nach der Langholzfahrt unbedingt notwendig war –  eingesetzt werden konnten.  In der Regel wurden sie aber an diesem Tag von jeglicher Arbeit verschont. Und diese Truktur mit den Gurten und dem Flaschenzug wiederholte sich täglich über einen langen Zeitraum – und sie haben es beide überlebt.

Wenn ich diese Grausamkeit nicht hätte selbst miterleben müssen, ich hätte heute diese Geschichte dem Erzähler wegen maßloser Übertreibung nicht geglaubt.

Als ich sogleich nach der Wende aus Schleswig-Holstein kommend gemeinsam mit meiner Frau erstmals wieder nach Bützow kam, besuchte ich natürlich auch „Ludden“ Frank jun. (der Senior lebte leider nicht mehr). Ich ging in den damals noch vorhandenen alten Pferdestall, um meiner Frau die Flaschenzughaken im Deckengebälk zu zeigen.

Alles war noch wie vor 43 Jahren vorhanden – und die Erinnerungen wurden wach…………..

Ein besonderes Ereignis war für mich auch der willkommende Auftrag, mit den Pferden zum Schmied zu gehen. Schmiedemeister Voth am Pferdemarkt, nur 200 Meter von unserem Hof entfernt, hinterließ bei meinem ersten Erscheinen eine bis heute nicht wegzudenkende Erinnerung: Als das erste glühende Hufeisen, natürlich von Hand aus einem Stück Bandeisen gefertigt, da es die handelsüblichen Rohlinge nicht gab, auf den Huf gebrannt wurde und mir, dem Aufhalter, der Qualm in Augen und Nase kam, fing ich an zu pusten. Meister Voth daraufhin: „Wenn hier einer pusten deit, denn bün ick dat“ !

Viel Zeit mußte für den Beschlag der Pferde mitgebracht werden, denn nicht nur die Hufeisen-Rohlinge gab es nicht, auch die Hufnägel mußten aus einer runden Eisenstange Stück für Stück angefertigt werden.

Frau „Meisterin“, eine liebe Frau, immer etwas rußig im Gesicht, hatte bei mir wohl erkannt, daß ein Junge in meinem Alter immer Hunger hat, und so wurde es im Laufe der Zeit zur Gewohnheit, daß ich bei meinem Erscheinen eine dicke Schmalzstulle zugesteckt bekam.

Wie jüngst zu lesen, auch der Pferdefuhrpark der Stadt Rostock wurde seinerzeit „dienstverpflichtet“ und so sagte Bürgermeister Petschow in einem Vortrag im Juni 1947:“……auch der Fuhrpark mit seinen 320 Gespannen (insgesamt 600 Pferde) kann in dieser Notlage nicht als Entlastung gewertet werden, da dieser in starkem Maße für die Anfuhr von Reparationsholz eingesetzt werden muß. Pro Pferd wurde dem Fuhrpark im ersten Quartal ein Reparationsholzsoll von 16 Festmetern auferlegt. Wenn man dann berücksichtigt, daß die Heranschaffung der monatlich benötigten Futtermenge von 1.800 Ztr. Hartfutter nie voll erreicht wird, und die Beschaffung von Hufnägeln z.Zt. gänzlich unmöglich ist, können Sie sich vorstellen, daß Fahrten für den zivilen Sektor nur noch in ganz beschränktem Umfange durchgeführt werden können“.

Wie glücklich können heute unsere Pferde leben – und ihre Besitzer!

 

Volker Tack