Die „Wohlstandskrankheit“ ist nach der Kolik die am häufigsten zum Tod führende Erkrankung des Pferdes

 

Von Dr. Jörg Neubauer

 

In jedem Dorf unseres Landes sieht man auf den unzähligen Weiden kleinere oder größere „Lieblinge“ grasen, die bei den Hobbybauern leider nur noch im Frühjahr die Kartoffeln häufeln müssen und zum Herrentag vor die Kutsche gespannt werden.

Den Rest des Jahres werden diese Kleinpferde nur zum Kurzhalten der Weiden genutzt.

Da diese Pferde aber sehr genügsam sind, leiden sie immer öfter an der Wohlstandskrankheit Hufrehe.

Obwohl das Frühjahr die Zeit mit der häufigsten Erscheinung der Hufrehe ist, muß auch im Herbst an diese Erkrankung gedacht werden.

 

Was ist Rehe? Wie erkennt man sie? 

Die Hufrehe, landläufig auch Hufverschlag genannt, ist eine flächige, nichteitrige Huflederhautentzündung, die vorwiegend die vordere Zehenwand, die Seitenwand und die Hufsohle betrifft. Sie ist eine lokale Äußerung einer Stoffwechselstörung des Gesamtorganismus des Pferdes, bei der es zu Durchblutungsstörungen im Bereich des Aufhängeapparates der Hornkapsel kommt. Die Hufrehe ist nach der Kolik die häufigste zum Tod führende Erkrankung des Pferdes.

Abhängig vom Schweregrad der Erkrankung ist in leichten Fällen nur ein sogenannter klammer Gang sichtbar und eine verstärkte Trachtenfußung. Die Vordergliedmaßen werden weit vor den Körper gestellt, und in der Bewegung versucht das Pferd nur die hinteren Anteile des Hufes zu belasten. In der Box werden die Gliedmaßen oft wechselseitig belastet. Die Hintergliedmaßen werden weit unter den Körper gestellt, um die Gewichtsverteilung auszubalancieren und die Zehenspitze der Hintergliedmaßen zu entlasten.

Auf beiden Vordergliedmaßen ist innen an der Röhre die verstärkte Pulsation der Mittelfußaterie fühlbar.

Sind die Hintergliedmaßen in die Erkrankung mit einbezogen, kann man die Pulsation an der Außenseite der Röhre fühlen. Die Hufwand  und die Sohle sind vermehrt warm und zeigen im Gegensatz zu einer Druckstelle oder eines Hufgeschwüres eine flächige Schmerzhaftigkeit, die besonders die vordere Zehenwand und die Sohle im Bereich der Strahlspitze betrifft.

Aufgrund des schmerzhaften Prozesses und aufgrund der Belastung des Gesamtorganismus kommt es zur Erhöhung der Atem- und Pulsfrequenz.

In schweren Fällen der Hufrehe bewegt sich das Pferd kaum noch freiwillig. Eine Vordergliedmaße kann nur noch unter starken Schmerzen aufgehoben werden, was in sehr starken Fällen gar nicht mehr möglich ist. Dann steht das Pferd wie angewurzelt auf seinem Platz oder legt sich unter Stöhnen nieder. Innerhalb weniger Tage kann es dann zum so genannten „Ausschuhen“ kommen, bei dem sich die Hornkapsel vollständig von der Huflederhaut trennt.

 

Wie entsteht Rehe ?

Obwohl die Rehe des Pferdes schon Jahrhunderte bekannt ist und in vielen veterinärmedizinischen Schriften diskutiert wird, gibt es bis heute keine einheitliche Meinung über die Entstehung dieser Erkrankung.

Die Ursachen sind vielfältig und doch stellen sich die Symptome gleichartig dar.

Ursachen sind:

  • Stoffwechselstörungen, hervorgerufen durch Überfütterung/Überfressen mit leicht verdaulichen Kohlehydraten (Fruktane oder übermäßige Kraftfutteraufnahme)
  • Primärerkrankungen der Lunge, des Darmes oder der Gebährmutter ( z.B.Geburtsrehe durch Nachgeburtsverhalten, Colitis)
  • arzneimittelbedingt ( z.B. Überdosierung mit Kortisonen)
  • mechanisch bedingt ( z.B. extreme Belastungen)
  • endokrine und metabolische Störungen ( z.B. Cushing Syndrom, Euines metabolisches Syndrom)

Ob es für die unterschiedlichen Ursachen gemeinsame Auslöser gibt, ist nicht geklärt. Sicher ist, dass das Zielorgan der auslösenden Stoffe das hochempfindliche Mikrogefäßsystem der Lederhaut ist. Mit der Entstehung der Rehe kommt es zu akuten Veränderungen im Bereich des Gefäßsystems des Hufes, die zu Durchblutungs- und Gerinnungsstörungen führen.

Diese haben eine Flüssigkeitsansammlung zwischen Hornkapsel und Lederhaut zur Folge, welche dem Pferd starke Schmerzen bereitet. Der Aufhängeapparat der Hornkapsel wird aufgelockert und teilweise zerstört, was sich später in einer Verbreiterung der weißen Linie darstellt. Wird der Aufhängeapparat der Hornkapsel vollständig zerstört, löst sich die gesamte Hornkapsel  von der Lederhaut (Ausschuhen).

Bei der chronischen Verlaufsform der Rehe führt dieser Prozeß zur Bildung minderwertiger Hornschichten, die sich in einer Verformung der Hornkapsel darstellen:

  • Verbreiterung der weißen Linie
  • Ausbildung eines Schnabelhufes
  • Bildung von „Reheringen“

Durch die Auflockerung des Halteapparates der Hornkapsel sinkt der Kronsaum, der für dIe Bildung des Röhrchenhornes verantwortlich ist, tiefer in den Huf ein und erfährt einen Druck der bestehenden Hornkapsel. Dieses führt zur Störung des Hornwachstums, die sich in der Bildung von „Reheringen“ äußert. Das Einsinken ist im Bereich der Zehenwand am stärksten, die Hufkapsel verformt sich. Dadurch verlaufen die „Reheringe“ schräg zum Kronenrand. Da das Hufbein in die Hufkapsel und deren Trageapparat eingebettet ist, führt diese Erkrankung in schweren Fällen zur Senkung und/oder zur Drehung des Hufbeines, die sich röntgenologisch darstellen lassen. Der Grad der Drehung und der Senkung lassen eine Prognose über die Schwere der Erkrankung zu und gibt dem behandelnden Tierarzt Hinweise für sein weiteres Vorgehen. Die Prognose ist fast aussichtslos, wenn es zum gefürchteten Durchbruch des Hufbeines dicht vor der Strahlspitze durch die Sohle kommt.

 

Wie wird die Rehe behandelt ?

Bei der Behandlung der Rehe ist zwischen der akuten und der chronischen Verlaufsform zu unterscheiden. Während der akuten Verlaufsform noch die auslösende Grundkrankheit therapiert werden muß, stützt sich die Behandlung der chronischen Hufrehe auf orthopädische Maßnahmen, um der Hufverformung entgegenzuwirken.

So ist bei der akuten Geburtsrehe in erster Linie die Gebärmutterentzündung mit entsprechenden Spülungen und Medikamentengaben zu behandeln. Wird die Ursache der Rehe im Magen- und Darmtrakt vermutet, kann durch die Gabe von Paraffinöl die weitere Aufnahme giftiger Substanzen eingeschränkt und ihre Ausscheidung beschleunigt werden.

Nur wenn die Ursachen der Rehe rechtzeitig beseitigt werden können, besteht eine gute Chance, sie vollständig zur Ausheilung zu bringen.

Bei der akuten Rehe ist auch heute noch der schon im Altertum durchgeführte Aderlaß eine Therapie, die gezielt die Durchblutungsstörungen im Bereich des Hufes beeinflussen kann.  Während bei vielen anderen Erkrankungen die Wirkung des Aderlasses angezweifelt wird, ist sein Einsatz bei der Hufrehe auch heute noch gerechtfertigt. Durch den Aderlaß werden die Durchblutungsverhältnisse in den Zehen verbessert und vorhandene Entzündungssubstanzen (Mediatoren wie Histamin) aus dem Organismus entfernt. Der Einsatz entsprechender Medikamente kann diesen Vorgang unterstützen (Heparin, Antihistaminika, Antiphlogistika).

Eine zu starke Schmerzbeseitigung über hoch dosierte Analgetika sollte vermieden werden, um eine Besserung des Zustandes nicht vorzutäuschen. Außerdem könnte durch eine übermäßige Belastung der erkrankten Gliedmaßen die Rehe noch verstärkt werden.

Die weitere Therapie zielt darauf, den chronischen Veränderungen der Hufrehe entgegenzuwirken. Über das Anlegen von Polsterverbänden, die durch Angießen mit kaltem und warmen Wasser im Wechsel den Durchblutungsstörungen entgegenwirken können, werden besonders belastete Anteile des Hufes geschützt. In schweren Fällen wird durch das Anlegen eines sogenannten Rehegipses oder Styropurunterlagen versucht, nur den hinteren Teil des Hufes mit dem Strahl und dem Ballen zum Tragen der Körperlast zu bringen.

 

Dem Flüssigkeitsdruck im Bereich zwischen Lederhaut und Hornkapsel wirkt man außerdem mit dem Anlegen von Rinnenschnitten im Horn bis auf die Lederhaut entgegen oder durch das Raspeln der vorderen Zehenwand bis auf die Blättchenhornschicht. Dies wirkt zusätzlich der Verformung des Hufes entgegen.

Bei der Behandlung der chronischen Rehe kommt es darauf an, der Drehung und Senkung des Hufbeines in der Hufkapsel entgegenzuwirken. Während man früher der Meinung war, dieses durch einen gezielten Druck gegen die Hufbeinspitze erreichen zu können, ist man heute der Ansicht, gerade diese Stelle schonen zu müssen. Dieses wird erreicht, indem man über einen breiten Quersteg oder eine aufgeschweißte Platte den hinteren Teil des Hufes zum Tragen bringt. Durch die Auspolsterung der Strahlfurchen mit Huflederkitt oder ähnlichem wird dieser Effekt noch verstärkt.

Die Hufbeinspitze sollte frei schweben können und nicht in die Lastaufnahme mit einbezogen werden. Günstig wirkt sich außerdem das Eisen aus. Dadurch wird dem Zug der tiefen Beugesehne, die am Hufbein ansetzt und einen Zug Richtung Hufsohle ausübt, entgegengewirkt. Eine vorher durchgeführte röntgenologische Untersuchung zeigen Tierarzt  und Hufschmied den Grad der Hufbeindrehung und den Sitz der gedrehten Hufbeinspitze. Sie gestattet eine entsprechende Anfertigung des orthopädischen Beschlages

 

Der Autor Dr. Jörg Neubauer ist  Fachtierarzt für Pferde mit langjähriger eigener Praxis. –
(Tel. 0171-7112081)