In Sachsen und Thüringen sind einige Todesfälle bei jüngeren Pferden durch eine mysteriöse Weidekrankheit aufgetreten.

 

Dr. Uwe Hörügel,  Pferdegesundheitsdienst,  Sächsische Tierseuchenkasse

 

In diesem Herbst sind erneut ungewöhnlich viele Pferde an der atypischen Weidemyopathie eingegangen. Dem Pferdegesundheitsdienst (PGD) sind bis dato jeweils sieben Todesfälle auf drei Koppeln in Thüringen und zehn tote Pferde auf sieben verschiedenen Koppeln in Sachsen zur Kenntnis gelangt.

Die Fälle in Thüringen traten ausschließlich im Gebiet um Meura auf, wogegen in Sachsen eine Verteilung vom Vogtland und mittleren Erzgebirge über die südliche Freiberger Gegend bis nach Pirna und Königsbrück zu verzeichnen ist.

Auch aus anderen Regionen Deutschlands wurde in diesem Jahr über derartige Fälle berichtet.

So verendeten in der Nähe von Paderborn sechs Kaltblutpferde.

 

Atypische Weidemyopathie

Bei der atypischen Weidemyopathie, auch atypische Myoglobinurie der Weidepferde genannt, handelt es sich um eine Muskelerkrankung, die plötzlich auftritt und überwiegend tödlich endet. Sie betrifft ausschließlich auf der Koppel gehaltene Pferde, unabhängig von Rasse oder Geschlecht. Jüngere Tiere bis drei Jahre in mäßigem oder guten Futterzustand scheinen häufiger betroffen zu sein.

Die atypische Weidemyopathie tritt vorwiegend im Herbst auf, vereinzelt auch noch im Frühjahr, jedoch nicht im Sommer. Eine Häufung der Fälle ist nach frostigen, mit einem plötzlichen Kälteeinbruch einhergehenden Nächten oder aber nach einem plötzlichen Witterungsumschwung in den Kältebereich, vor allem in Jahren nach einem ungewöhnlich trockenen und heißen Sommer festzustellen. Auch bei Plustemperaturen im niedrigen Bereich (>5° C), bei hoher Luftfeuchtigkeit und nach Stürmen kann die atypische Weidemyopathie auftreten.

 

Erste Erkrankungen in England

Fälle von Muskelerkrankungen unbekannter Ursache gab es bereits 1976 in England und in den achtziger Jahren in Schottland. In allen Fällen waren vor allem ungerittene, meist junge Weidepferde betroffen, die nach plötzlichem Einsetzen der kalten Witterung charakteristische Symptome der Myopathie aufwiesen. 1984 wurde die Erkrankung erstmals als atypische Weidemyopathie beschrieben. Doch schon 1939 soll es in England Weidepferde mit den entsprechenden Symptomen gegeben haben. Ende Oktober 1995 erreichten die ersten Tiere mit der Diagnose „atypische Myoglobinurie der Weidepferde“ die Tierärztliche Hochschule in Hannover. Im Winterhalbjahr 1995/96 erkrankten mindestens 115 Pferde und Pony’s, 111 von ihnen starben. Gehäuft trat die Krankheit dann erst wieder im Herbst/Winter 2004/2005 bei ähnlichen klimatischen Bedingungen auf. Auch in Sachsen und Thüringen starben bis zu diesem Jahr nach Kenntnis der PGD mindestens 15 Pferde.

Fälle der atypischen Weidemyopathie werden außerhalb Deutschlands in der Schweiz, aber auch in Österreich, England, Schottland und anderen europäischen Ländern beschrieben.

Häufig waren langjährig als Pferdeweide genutzte, wenig oder gar nicht gedüngte Flächen betroffen, die in Waldnähe oder am Waldrand liegen und dementsprechend schattig, feucht und im Herbst mit Blättern unterschiedlichster Bäume (ÄpfeL, Ahorn, Eiche, Buche) belegt sind. Die Weiden wurden meist bis in die Wintermonate genutzt, wiesen einen relativ starken Verbiss einzelner Areale auf und zeigten einen überdurchschnittlichen Artenreichtum mit hohem Kräuteranteil.

 

Die Muskeln degenerieren stark

Die atypische Weidemyopathie ist bisher ausschließlich bei Pferden und Pony’s

diagnostiziert worden, die unmittelbar vor Auftreten der Erkrankung  Tag und Nacht auf der Weide gehalten wurden. Fast alle der betroffenen Pferde befanden sich in sehr guter körperlicher Verfassung, wurden nicht genutzt und nicht oder nur wenig zugefüttert. Zwar erkrankten oft mehrere, aber nicht zwingend alle Pferde einer Weide.

Die atypische Weidemyopathie ist eine durch akute Muskeldegeneration gekennzeichnete Erkrankung, die sehr plötzlich auftritt und einen schnellen Verlauf nimmt. Selbst bei regelmäßigen Weidekontrollen werden die Pferde häufig schon tot oder sterbend vorgefunden. Die Todesrate ist selbst bei schnell eingeleiteten und intensiven Therapien ausgesprochen hoch, sie beträgt mehr als 90%. Das Krankheitsbild ähnelt anderen, beispielsweise durch Belastungen hervorgerufenen Myopathien. Erkrankte Tiere zeigen plötzliche Kolikanzeichen, Steifheit, Muskelzittern, schwankenden Gang, Schweißausbrüche, zum Teil hochgradig gerötete oder bläulich verfärbte Schleimhäute und erhöhte Puls- und Atemfrequenz.

 

Dunkelroter oder brauner Harnabsatz

Die Atmung kann erschwert sein. Typisch ist auch der dunkelrote oder braune Harnabsatz, verursacht durch den mit dem Urin ausgeschiedenen Muskelfarbstoff. Die Pferde sind oft apathisch. Ihr Appetit bleibt jedoch erhalten, wobei sie aber meist nicht mehr kauen und schlucken können. Die Schmerzen sind unterschiedlich stark ausgeprägt. Bei rektalen Untersuchen fällt die hochgradig gefüllte Harnblase auf. Die Pferde kommen meist innerhalb von ein bis drei Tagen zum Festliegen und zeigen dabei oft Streckkrämpfe oder Ruderbewegungen. Der Tod tritt innerhalb von drei Tagen ein. Die anfänglichen Symptome ähneln denen der Kolik. Bei der atypischen Weidemyopathie wird die gesamte Muskulatur einschließlich der Kau- und Herzmuskeln zerstört. Bei vielen der sezierten Pferde wurden zudem ein erniedrigter Blutkalziumspiegel und eine Veränderung der Magenschleimhaut (Geschwüre) festgestellt.

 

Ursachen können vielschichtig sein

Die Ursache der atypischen Weidemyopathie ist nach wie vor unbekannt. Es gibt diverse Spekulationen, aber keine Gewissheit. Botanische Untersuchungen der betroffenen Weiden ergaben keinen Hinweis auf Giftpflanzen oder schädigende Stoffe, die mit dem Erscheinungsbild der Erkrankung in Zusammenhang stehen könnten. Auch Bodenanalysen und Wasserproben brachten keinen Aufschluß. Da die Krankheit bisher stets nach einem Kälteeinbruch auftrat, ist ein Zusammenhang mit den Witterungsverhältnissen ziemlich sicher. Weil meist mehrere Pferde einer Weide erkranken, wird vermutet, dass es sich um eine Art Vergiftung durch Weidepflanzen handelt. Möglicherweise ruft der Wetterumschwung Stoffwechselveränderungen in Pflanzen und Mikroorganismen hervor, die zu einer Toxinbildung führen oder dann vorhandene Toxine plötzlich freisetzen. In der Diskussion sind Mykotoxine (von Pilzen gebildete Gifte), die infolge plötzlich auftretender Kälte von Pilzen auf Gräsern, Kräutern oder auf dem Boden befindlichem Laub gebildet werden. Bei Untersuchungen des Magen- und Darminhaltes der verendeten Pferde konnten jedoch keinerlei toxische Stoffe nachgewiesen werden. Obwohl das klinische Bild der atypischen Weidemyopathie dem der ernährungsbedingten Myopathie (Vitamin-E-/Selenmangel) ähnelt, war auch hier kein Zusammenhang festzustellen. Da die Pferde fast ausschließlich Tag und Nacht auf ungedüngten, abgefressenen Weiden stehen und meistens keine Zusatzfuttermittel erhalten, kann von einer Mangelsituation und somit Vorschädigung der Tiere ausgegangen werden.

 

Was lässt sich vorbeugend tun ?

Es ist bislang kein sicherer Schutz vor der atypischen Weidemyopathie bekannt. Aus den Beobachtungen vorangegangener Fälle lässt sich Folgendes ableiten :

  • Wenn  möglich, Pferde ab Ende August nachts aufstallen und gezielt zufüttern (Kraftfutter, Mineralstoffe und Spurenelemente).
  • Pferde auf Tag- und Nachtkoppel ab Ende August ebenfalls zufüttern (Heu von gedüngten Flächen), Mineralstoff- und Spurenelementmischungen bedarfsgerecht an jedes Pferd verfüttern, Witterungsschutz (Weidehütte oder –unterstand) auf der Koppel anbieten, Weiden mit viel Laub im Herbst meiden.
  • Die Weiden im Herbst nachmähen und Mahd sowie Blätter entfernen (unterbricht Entwicklungszyklus von Pilzen auf Pflanzen und Blättern).
  • Die Koppeln möglichst mit Kalkstickstoff düngen. Er spendet wertvolle Mineralien für die Pflanzen und hat eine desinfizierende Wirkung gegenüber Mikroorganismen (Pilze, Bakterien) sowie Parasiten. Wichtig sind regelmäßige Kontrollen. Frühzeitig aufgefundene und sofort therapierte Pferde haben zumindest eine kleine Überlebenschance. Bei den geringsten Anzeichen ist unverzüglich der Tierarzt zu informieren. Ein längerer Transport kann die Symptome verschlimmern. In Zweifelsfällen bringt eine Blutuntersuchung Gewissheit. Bei der atypischen Weidemyopathie sind die Muskelenzymwerte im Blut erhöht. Alle anderen Pferde sind dann sofort von der betroffenen Koppel zu nehmen.